Sie hatte das Gefühl gehabt, einem Phantom nachzujagen. Der Junge hatte sich in Luft aufgelöst, hatte keinerlei Spuren hinterlassen. In Israel sei es schwierig, zu verschwinden, hieß es immer, die unbändige Neugier der Israelis würde einen bis in den letzten Winkel verfolgen. Du kannst in eine andere Stadt ziehen, den Arbeitsplatz wechseln – unerkannt zu bleiben wird dir nicht gelingen. Die neuen Nachbarn werden wissen wollen, wo du zur Schule gegangen bist, wo du beim Militär warst, warum du nicht verheiratet bist, wie es sein kann, dass du keine Kinder hast, und überhaupt, wen du so kennst. Auch in dieser Hinsicht hatten die Afrikaner eine neue Realität geschaffen.
Sie fand die Orte, die sie im Laufe dieser Ermittlungen aufgesucht hatte, äußerst befremdlich. Unter der Oberfläche von Tel Aviv hatte sich ein zweiter Staat herausgebildet mit eigenen Gerüchen, Farben und Sitten. Sie hatte das Gefühl, unbekanntes Territorium zu betreten, in dem Gesetze und Regeln galten, die sich ihrem Verständnis entzogen und von einem verborgenen Mechanismus gelenkt wurden. Sie versuchte die Realität, die Gesichter und Worte der Menschen zu deuten, ohne im Geringsten dafür gerüstet zu sein.
Die Abstecher in diese fremde Welt empfand sie in erster Linie deprimierend. Ihr taten die Afrikaner leid, die in dieser elenden, grausamen Armut hausten, und ebenso die Israelis, die alten Einwohner des Viertels, die dort ausharrten und sich ängstigten, ihre eigenen vier Wände zu verlassen, weil in der Wohnung nebenan zwanzig, zuweilen dreißig Eingeschleuste lebten.