Übersetzung von hebräischen Fachtexten, Artikeln und Reportagen, Feuilleton, Besprechungen von israelischen Bestsellern, Rezensionen, Film-Kritiken, Buchbesprechungen und White-Paper

 
Zwar sehe ich den Schwerpunkt meiner Übersetzungstätigkeit in der Übertragung von hebräischer Belletristik und israelischen Filmen – immer wieder erreichen mich aber auch verschiedenste Anfragen aus den Pressebereichen Politik und Feuilleton. Literaturagenturen wie Verlage sind interessiert an Buchkritiken oder Rezensionen. Daher übersetze ich Fachartikel ebenso wie Umfrage-Texte, White-Paper oder in Hebräisch verfasste Reportagen.

Wenn auch Sie eine Übersetzung eines hebräischen Pressetextes, Artikels, einer Reportage, eine israelische Buch-Rezension oder Film-Kritik wünschen, erstelle ich Ihnen gern ein passendes Angebot.

Die vorliegende Auswahl an Leseproben aus der „Berliner Zeitung“ gründet sich sich auf die Veranstaltung „Deutsch-Israelische Literaturtage“, die jährlich wechselnd in Tel Aviv und Berlin stattfindet und neuste Stimmen, Talente und Künstler beider Länder vorstellt.

 

YONATHAN BERG

Übersetzung: Ulrike Harnisch, 2016

„Drachen und Draht“

Die erste Erinnerung, die sich in mir regt, wenn ich über die Landschaft meiner Kindheit schreibe, sind Drachen. Farbenfroh, voller Bewegung, sogar verheißungsvoll waren sie für mich Symbol einer anderen Existenz und standen im Kontrast zu Gewalt, Angst und Stagnation. Scheinbar waren die Drachen nur zum Vergnügen der Kinder da, aber in dem schmalen Streifen zwischen Ramallah und Psagot hatten sie enorme Tragweite. Es war an den Feiertagen, wenn wir unverhofft einen Drachen entdeckten, der ins Territorium der Siedlung eingedrungen war, farbenfroh und atemberaubend bewegte er sich elegant durch die Lüfte, suchte einen Ort zum Abstürzen. Uns Siedlungskindern war klar, wer ihn als Erster erreichte und stellte, wäre noch am selben Tag der Held.

Daher ließen wir alles stehen und liegen, rannten los, um den Drachen zu jagen – bis er sich ergab. Wir wollten die Beschaffenheit seiner Leine, die Verwendung von Farben, Papier und Leim enträtseln, die für sein stabiles Segel sorgten. Neugierig musterten wir die warmen Farben seiner orientalischen Bemalung, versuchten Leine und Bauart nachzuahmen. Doch es gelang uns nie. Wir waren nur Gäste in einer Gegend, wo der Drachen einst zu Hause gewesen war. Obgleich wir nie darüber sprachen, wer in dieser Landschaft länger ansässig sei, steckte in diesen palästinensischen Drachen ein Teil der Antwort.

Der Anblick der schwitzenden Kinderschar, einige mit Schläfenlocken, andere die Kipa in der Hand, die dem schwebenden farbenfrohen Hinweis auf eine Kindheit auf der anderen Seite nachjagten, hat sich mir tief eingeprägt. Solche Momente verbanden sich mit wenigen anderen, da wir die Kinder oder Jugendlichen der anderen Seite zu Gesicht bekamen. Einmal hatten wir Siedlungskinder Ramallahs Jugendlichen beim Fußballspielen zugesehen, Steine markierten den Torbereich auf dem Asphalt. Eine Szene, die Neugier und zugleich Panik in uns auslöste. Wir hatten das Gefühl, unser Spiegelbild zu erblicken. Die Palästinenser waren etwa in unserem Alter, spielten mit hitzigem Einsatz und einer Begeisterung, die die glühende Mittagshitze zu erwidern schien – in all dem lag aber auch die Zusicherung einer künftigen Auseinandersetzung.

Und die folgte: Die israelische Armee ist auch ein Ort, wo sonderbare und groteske Vorkommnisse beheimatet sind. Sie ruinieren den Heiligenschein absoluter Rechtschaffenheit, der militärische Aktionen umgibt, solange man von der Zielsetzung der Mission überzeugt ist. Ein Jahrzehnt nach der Drachenjagd traf meine Einheit zur Mittagszeit auf dem Stützpunkt der Siedlung Dolev ein, um eine Reservisteneinheit abzulösen. Von hier aus hatte man einen guten Ausblick auf Ramallah. Während wir unsere Ausrüstung ausluden, fielen plötzlich Schüsse. „Wir werden angegriffen“, hieß es von einigen. Die ganze Einheit stürmte zur Steinmauer des Stützpunktes, um aus den Mauerritzen das Feuer in Richtung Ramallah zu erwidern, von wo in etwa der erste Schuss gekommen sein musste. Dieses heftige, wilde Gegenfeuer aus Dutzenden Maschinengewehren dauerte mehrere Sekunden, bis der Kommandeur befahl, das Feuer einzustellen.

Stunden später waren die Untersuchungen zu dem Vorfall abgeschlossen. Wie sich herausstellte, hatte die Ablösung auf unserem Wachturm die Waffe auseinandergenommen, um sie zu reinigen. Dabei löste sich versehentlich ein Schuss Richtung Ramallah. Die überraschten palästinensischen Polizisten hatten das Feuer erwidert und damit die frenetische Antwort der frisch eingetroffenen Einheit ausgelöst. Diese Aneinanderreihung von Irrtümern führte zu einem lächerlichen und zugleich brutalen Nachmittag. Und diese Szene schildert auch etwas Grundsätzliches des gesamten Militärdienstes: Er besteht aus unzähligen Irrtümern, unerklärlichen und unverständlichen Aktionen, überzogenen Reaktionen, ausgelöst durch Leichtsinnigkeit und Begeisterung. Unterm Strich waren wir junge Männer, die der Kindheit näher waren als dem Erwachsenenleben. Die Angst umgab uns und trieb uns an.

Neugier und Angst: Diese Verquickung war in meiner Kindheit vorherrschend. Die ewige Auseinandersetzung der Menschheit, in der Offenheit gegen Verschlossenheit steht, ein Drachen gegen Draht: Ein neues Land oder stetig mehr Metall und Stacheldraht auf dem alten Land.

 

NIR BARAM

Übersetzung: Ulrike Harnisch, 2016

„Im Land der Verzweiflung“

Ich stand in Jerusalem – meiner Geburtsstadt. Genauer gesagt im Nordosten, in Ras Khamis, einem palästinensischen Viertel, das 2005 durch die Trennmauer von Jerusalem abgetrennt wurde. Den grauen Beton der Mauer sieht man von jeder Straße aus. Die Mauer legt sich wie ein enger Ring um das Viertel, nimmt ihm die Luft zum Atmen. Vor mir brannten Müllberge, Rauchsäulen stiegen auf (die Jerusalemer Stadtverwaltung lässt hier den Müll nicht abholen). Unvermittelt tauchten aus dem Rauch drei Mädchen in blauen Schuluniformen auf, bunte Ranzen auf den Rücken. Die Diskrepanz zwischen ihrer sorgfältigen Garderobe und der verräucherten Straße hatte etwas Grauenhaftes.

Das konnte nicht sein, ging es mir durch den Kopf, dass Kinder täglich entlang einer Straße zur Schule gingen, an der Müll brannte. Ich fragte sie. „Na klar“, antworteten sie. „Wir kommen vormittags und nachmittags hier vorbei. Das ist doch unser Schulweg.“ Plötzlich verstand ich, dass mein Heimatviertel Beit Hakerem, wo ich geboren wurde und aufgewachsen bin, nur wenige Kilometer entfernt liegt und Ras Khamis sich am Rande der Straße befindet, die ich schon oft genommen hatte, ohne es besucht, nicht einmal wahrgenommen zu haben. Bis sich das 2014 änderte.

Mein Buch „Im Land der Verzweiflung“ sollte nicht in einem erregten, erschütternden oder Moral predigenden Ton geschrieben sein, sondern meine Beobachtungen schlichtweg schildern, Ideen aufwerfen und dem Leser ermöglichen, sich ein Urteil zu bilden, das war eine meiner ersten Entscheidungen. Ich mag keine Bücher, die für den Leser Schlussfolgerungen formulieren. Doch wie kann man eine solche Szenerie schildern, ohne erschüttert zu sein. Was würden Bücher, Worte hier überhaupt nützen?

Ras Khamis besuchte ich nach meiner Recherchereise durchs Westjordanland und Ostjerusalem. Sechs Monate, in denen ich viel beobachtet hatte, was einen zur Verzweiflung bringen kann – an den Straßensperren, in den Flüchtlingslagern, den Dörfern und hier in Jerusalem. Auf meiner Reise begriff ich, dass der Staat Israel, der laut meiner Schulbildung moralische Werte stets hochgehalten hatte, einen Raum geschaffen hatte, in dem nur wenige Israelis die Besatzung wahrnehmen können.

Im zweiten Jahrzehnt des zweiten Jahrtausends beruht die Besatzung auf zwei sich ergänzenden Prinzipien: Zunächst das der Normalität. In den vergangenen Jahrzehnten sind die Besatzung, ihre Gesetze und Verordnungen, für die meisten Israelis völlig normal geworden. Damit geht zweitens das Prinzip des Nichtwissens einher. Alles ist normal und es gibt keine Enthüllungen mehr, die Israelis erschüttern. Daher verspürt keiner das Bedürfnis zu erfahren, wie die tägliche Praxis der Besatzung und das Leben im Westjordanland und in Ostjerusalem aussehen. Jemand sagte zu mir: „Warum schreibst du dieses Buch? Wir sind doch nicht mehr in den Achtzigern.“

In den anderthalb Jahren Westjordanland und Ostjerusalem füllte ich vierzehn Notizhefte mit Eindrücken, Szenen, Interviews und Schilderungen von Ereignissen, bei denen ich dabei war. Ich erlebte 2014 die „Militäroperation Starker Fels“ in Ramallah und Nirim (einem Kibbuz an der Grenze zu Gaza). Ich war im Trauerzelt für den Jungen Mohammed Abu Khdeir, der von Israelis in Jerusalem (als Vergeltungsakt für drei getötete jüdische Jugendliche) ermordet wurde. Ich hörte von sehr vielen Menschen – Siedlern wie Palästinensern – dass es für eine zukünftige Heimat zweier Völker keine Lösung gebe. In den ersten Monaten übertrug ich die Notizbücher nicht in den Computer, ich stopfte sie vielmehr in die Schublade und würdigte sie keines Blickes mehr. Was ich gesehen hatte, wurde zu einem einzigen Wirrwarr, das mein Bewusstsein verstörte, es gelang mir nicht mehr, einen Ort zu isolieren.

Im April 2015 wurde mein erster Sohn Daniel geboren und ich widmete ihm und seinen Bedürfnissen meine ganze Aufmerksamkeit. Beinahe hätte ich entschieden, das Projekt zu vernachlässigen, die Notizhefte in der Schublade zu belassen. Das wäre einfacher, dachte ich, vielleicht würde ich mich in der Zukunft gar nicht mehr an diese Orte erinnern.

Ich hatte Angst vor dem Vergessen, in gewissem Maße wollte ich es allerdings auch. Letztendlich kreisten meine Gedanken stetig um die einfache Tatsache: Das ist meine Heimat und es ist auch die Heimat meines Sohnes. Das musste ich lernen anzuerkennen. Ich kann nicht nur in politischer Verzweiflung leben. Momentan ist viel von falschen Hoffnungen die Rede, dennoch muss ich an dem Glauben festhalten, dass dieses Land verändert werden kann.

Alles aufzuschreiben, was ich gesehen hatte, war für mich ein politischer Akt. Alles aufzuschreiben, was ich gesehen hatte und Wege der Hoffnung für die Zukunft dieses Landes aufzuzeigen, das zwei Völker als ihre Heimat ansehen.

 

  

Liat Elkayam

Übersetzung: Ulrike Harnisch, 2016

TLV-Land – Ein Computer-Spiel

Spielinformationen

Entwickler: August Bebel

Herausgeber: Herzl-man and the Interactives

Jahr der Veröffentlichung: 1902

Spieler: 1 und mehr

Zeit: Die nahe Zukunft

„TVL-Land“ oder zu deutsch auch „Neuland“ ist ein 3-D Suchspiel für neue Zivilisationen.

Zu Beginn sind Planung und Logistik wichtig. Dinge, die du nicht so gut kannst. In Alt-Neuland jedenfalls nicht.

Ach ja: Tel Aviv bedeutet wörtlich Alt-Neuland. Die Stadt ist nach einem Buch benannt. Das Buch war besser.

Runden: Du hast „Neuland“ bisher zweimal gespielt. Zuerst hast du Manhattan eingebüßt, dann Berlin.

Zu Beginn jedes Spiels herrscht Krieg.

In der ersten Runde hast du im Haus des Professors zufällig den Kleiderschrank betreten – ein magisches Portal. Dann bemerktest du urplötzlich, dass du nasse Füße vom Schnee bekamst.

Bei jedem Spiel wirst du neues Land erblicken, wie es sich kalt und unbekannt vor dir erstreckt. Auf riesigen hexagonförmigen Spielfeldern materialisieren sich Züge, Mahnmale, Wälder, Clubs und tolle Plätze für Gelegenheitssex und asiatisches Essen. Vorzugsweise in dieser Reihenfolge.

Die Regeln sind einfach: Wer auch immer den Pokal der bordeaux-goldenen Staatsbürgerschaft ergattert, ist der Gewinner.

Während des Spielverlaufs musst du auch andere Regeln verinnerlichen, aber das meiste erklärt sich von selbst und ist schon vorher klar: Deine Gewinnchancen steigen immens, wenn du ererbtes Eigentum, also Geld und gutes Aussehen, einsetzt oder an die Herkunft deiner Familie glaubst.

Marokkaner, Franzose, Deutscher oder Pole zu sein, sollte dir einige Chips einbringen und einen Vorteil, das bedeutet aber nix. Nada. Merde und Scheiße.

„Neuland“ ist so eine Art Bau-dir-dein-eigenes-Wappen-Situation. Wirf alles, was du hast, in die Waagschale. Leider hast du nicht viel, nur dein Gehirn und so weit hast du es bisher geschafft: Fünf Kilometer vom Haus deiner Mutter entfernt, bis in einen Tel Aviver Vorort.

Die Etappen: Ein Leben hast du für Geld weggeben. Ein anderes für einen Job.

Ein Leben hast du für Drogen verkauft. Und nun traust du dich nicht mal, „Neuland“ zu spielen, weil deine Mutter krank ist und du in ihrer Nähe bleiben willst.

Aber, ach, du hast die Wunder gesehen! Schließlich und endlich hast du die endlose, langweilige, hyänenhafte Bürokratie-Etappe gemeistert. Plötzlich gab es Roboter-Kooperativen, soweit das Auge reicht. Und gleiche Rechte für Frauen. Aber deine einzigen Verbündeten, die Technologie-Ritter, fallen im grausamen Kampf oder geraten nach und nach in Gefangenschaft, in der sie ihr restliches Leben dahinschmachten.

Achtung! Programmfehler:

Wenn du zwischendurch in dein geliebtes Alt-Neuland zurückkehrst und es dort mit einem Neustart probierst, wirst du bemerken, dass die Zeit keinesfalls bis zu deinem Weggang zurückgespult wird. Es ist eher so, als würdest du aus einem 113-jährigen hypnotischen Tiefschlaf erwachen.

Die zweite Runde: Wenn du Berlin spielst, bekommst du den Avatar Alice zugewiesen. Nach dieser Wunderland-Geschichte. Du gehst durch den Spiegel. Trittst in die deutsche Stille ein, die Ordnung, die Vorausplanung. Größer könnte der Unterschied nicht sein. Es ist, als blicke man durch einen kulturellen Spiegel und alles steht Kopf – klar, da ursprünglich in die andere Richtung erbaut.

In Berlin lernst du auch, das Spiel mit zwei Playern zu spielen. Du verliebst dich. Du knallst durch. Willst aber behutsam vorgehen, weil noch einige Side Quests anzunehmen sind, kleine Aufträge, deren Erfüllung dir helfen wird, besser mit Zeit und Raum umzugehen. Und den Gefühlen, die nach wie vor heikel sind.

Schließlich hast du noch ein oder zwei Leben. Und deine Ausrüstung, die beim Drachen-Verließ versteckt ist, umfasst einige äußerst wirksame Waffen sowie einen Pimp Coat, der das Gröbste abhält. Sprich aber mit niemandem über Neu-Zion, versuch es mit dem guten alten John Lennon. Imagination.

Stell dir vor, es gäbe keine Länder. Nichts, wofür sich zu töten oder zu sterben lohnte.

Mach weiter so, obwohl es ….

GAME OVER

Willst du noch mal?

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