Eshkol Nevo: „Trügerische Anziehung“

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Irgendwann hörte ich auf, sie zu googeln. Ich versuchte, sie zu vergessen. Ich ging mit anderen Frauen aus, hatte mit einigen sogar Sex. Doch immer stand ich dabei irgendwie neben mir. Und immer zog ich mich danach rasch wieder an. Mir wurde bewusst, was für eine Seltenheit es war, was ich mit Mor hatte, wie sie mit wenigen Worten eine eigene Welt für uns erschaffen konnte, in der es nur uns beide gab. In den ersten Augenblicken des Morgens, vor der gedanklichen Kontrolle des Wachseins, und in den letzten Augenblicken des Abends, vor der Taubheit des Schlafs, erschien sie auf meiner inneren Leinwand, in Häftlingskleidung, wickelte sich eine Locke um den kleinen Finger und fragte: Wie geht es dir?

Ich dachte, dass es nicht zwingend ein Entweder-Oder sein musste. Entweder Femme fatale oder vom Unglück verfolgt. Entweder sie mochte mich oder sie hatte mich benutzt. Durch und durch gute und durch und durch schlechte Menschen gab es nur in Hollywood-Filmen. Echte Menschen sind beides. Daher schien mir nicht mehr abwegig, dass sie sich in La Paz wirklich in mich verliebt hatte, und mich trotzdem zu benutzen versuchte, um nicht im Gefängnis zu landen. Die – nicht gerade kleinen – Lügen, die sie mir erzählt hatte, und die magnetische Anziehung zwischen uns beiden, standen nicht miteinander im Widerspruch.

Ich dachte, dass ich durch Ornas Augen in den letzten Jahren

vor allem wahrgenommen hatte, was ich nicht bin. Und dass mir Mors Augen gespiegelt hatten, was ich bin. Ein Mensch wird mit der Zeit zu dem, den andere in ihm sehen.

Schließlich kehrte ich ans Konservatorium zurück. Ich gründete eine neue Band. Ich bot offene Workshops auf einem Hausdach in Florentin in Tel Aviv an. So viel Zeit hatten wir schließlich nicht miteinander verbracht, sagte ich mir. Eine Flitterstunde in La Paz. Und vierundzwanzig Flitterstunden in Galilää. Aber in meinem Gedankenkarussell rollte ständig wieder an mir vorbei, wie sie ihren Kopf auf meine Schulter gebettet hatte. Eine Frau, die das tut, schließt mit dir einen Bund, sagte ich mir. Und du, du bist gegangen und hast ihn gebrochen. Womöglich hast du durch deine übertriebene Vorsicht die Liebe versäumt, der man nur einmal im Leben begegnet.