Liad Shoham – Das Blut an euren Händen

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Schlomo Brechfeld verweilte im Hof der Grundschule „Newe Oz“, Hort der Kraft, und betrachtete den Sonnenuntergang. Er liebte diesen Ort über alles. Hier war er vor vierundachtzig Jahren zur Schule gegangen. Danach waren es die Kinder. Und nun die Enkel. Behutsam strich er dem Hund, der zu seinen Füßen saß, übers Fell. Die Jahrzehnte hatten hier kaum etwas verändert. Nur hier und da. Kleinere Dinge. Immer wieder kam ihm zu Ohren, dass die Leute sich beklagten: In Petach Tikwa sei die Zeit stehen geblieben, die Stadt sei grau und langweilig, nicht zu vergleichen mit Tel Aviv, wo das Leben pulsiert. Nachvollziehen konnte er nicht, was in diesen Leuten vorging. Was er an Petach Tikwa mochte, war gerade die Beständigkeit, der Geschmack der guten alten Zeit. Und außerdem, was war denn so toll an Tel Aviv, das angeblich jedermann in Begeisterungsstürme ausbrechen ließ? War es die von Abgasen verpestete Luft oder waren es die vielen Freaks, die sich auf den Straßen herumtrieben oder gar die endlosen Staus oder die unzähligen, einander fremden Leute, die vorgaben, wer zu sein und sich für etwas Besseres hielten? Wie konnte man sich für diese Stadt begeistern?




In Petach Tikwa bedeuteten Werte noch etwas, hier genoss man eine gute Erziehung und konnte spüren, dass das Herz der alten Moschawa, der ländlichen Siedlung, noch kräftig schlug.

Rexi hob den Kopf und stand auf. Brechfeld drehte sich um und sah Hirsch bedächtigen Schrittes auf ihn zusteuern.

Seit dreißig Jahren hielten sie hier zweimal wöchentlich Rat. Genau wie früher ihre Väter. Hier war mit einem Händedruck besiegelt worden, was er und Hirsch in jungen Jahren schmunzelnd Sykes-Picot-Abkommen getauft hatten und die Gewaltenaufteilung zwischen Familie Brechfeld und Familie Hirsch in Petach Tikwa regelte. Inzwischen waren mehr als sechzig Jahre vergangen und nicht ein Mal war dieses Abkommen verletzt worden.