Liad Shoham – „Tag der Vergeltung“, Krimi

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Jaron Regev saß in seinem Wagen, das Haus, in dem seine Tochter wohnte, fest im Blick. Wie lange er hier Wache halten müsste, war ihm egal. Von ihm aus nächtelang, monatelang, jahrelang, bis er darauf bauen konnte, dass es ihr besser ging. Hatte er etwa nicht ganze Nächte an ihrem Bett verbracht, wenn sie als kleines Kind schlecht geträumt hatte? Was war daran so anders? Für ihn war sie nach wie vor seine kleine Tochter. …

Unter Umständen hatte Irith recht und er musste damit aufhören, doch eben das konnte er nicht. Wenn Adi ihn brauchen würde – wäre es auch nur für eine klitzekleine Sache -, wollte er zur Stelle sein, ihr beistehen, und zwar binnen drei Minuten.

In letzter Zeit hatte er viel an Adis Kindheit zurückgedacht. Er entsann sich ihrer ersten Schritte, ihrer ersten Worte, wie er sie in den Kindergarten gebracht und mitunter auch wieder abgeholt hatte. Wie sie dann auf ihn zugerannt und ihm um den Hals gefallen war, wie sie mit ihren kleinen Armen sein Bein umklammert hatte, nicht wieder loslassen wollte und gelacht hatte. Vor allem wie sie gelacht hatte. Ein schallendes Lachen, das die gesamte Familie ansteckte und ihm unendliches Glück bescherte.

Die Erinnerung an diese Zeit ging ihm durch Mark und Bein, denn Adi hatte aufgehört zu lachen. Sie saß nur noch still da, in sich gekehrt, starrte ihre Hände an, die auf den Knien ruhten, und weinte. Weinte ohne Unterlass. Lautlos, doch ihre Tränen trommelten wie bei der chinesischen Wasserfolter auf sein Herz.

Seit dem Vorfall hatte er das Gefühl, jeden Moment in Einzelteile zersprengt zu werden. Er gab sein Bestes, um stark zu sein für Adi, für Irith, spürte aber, wie ihn die Kräfte verließen, wie er allmählich den Verstand verlor. Er brachte nichts zuwege. Konnte sich auf nichts konzentrieren. Vermochte weder zu schlafen noch zu arbeiten.

Gelang ihm das Einschlafen, suchten ihn Albträume heim. Adi lag auf dem Boden, vor Entsetzen außer sich, flehte um ihr Leben, und ein fremder Mann, eine Bestie von einem Menschen ohne Gesicht, verging sich an ihr. Mit schreckgeweiteten Augen sah sie ihn an, rief um Hilfe. Er rannte zu ihr, wollte ihre Hand ergreifen, sie von dort wegholen, konnte aber nicht zu ihr gelangen.